Mittwoch, 21. Juli 2010

Erpressung, Mord, Totschlag und ueberall bewaffnete Leute in El Salvador

In meinem Hostel in Suchitoto meinte die eine Frau zu mir, dass ich ganz froh darueber sein kann, dass sie “nur” mein Portemonnaie gestohlen haben. Wenn ich einen anderen Bus genommen haette, dann waere ich vielleicht bei einem Anschlag in San Salvador ums Leben gekommen. Ok, der Anschlag fand am Sonntag statt. Trotzdem ist es erschreckend, dass Bandenmitglieder einen voll besetzten Bus am Sonntag in Brand steckten und am Montag alle Passagiere eines anderen Busses erschiessen. 16 Menschen sind inzwischen nach dem ersten Attentat gestorben und 14 weitere liegen mit schweren Brandverletzungen im Krankenhaus. Kurz danach, einige hundert Meter weiter, wurde ein anderer Bus angegriffen. Der Schaffner und ein kleines Maedchen kamen dabei ums Leben. Die Polizei geht davon aus, dass es sich bei den Taetern um Mitgliedern der geruechtigten Jugendbande “Mara 18” handelt, die dieses Busunternehmen erpressen. Im vergangenen Jahr haetten kriminelle Banden 137 Fahrer sowie in den Bussen mitfahrende Schaffner umgebracht. 37 Busse wurden letztes Jahr in Brand gesetzt. Seit Januar diesen Jahres seien bereits 77 Menschen in Bussen umgebracht und 30 Fahrzeuge verbrannt worden. Mit jaehrlich 72 Morden auf 100.000 Einwohner zaehlt El Salvador zu den Laendern mit der hoechsten Mordrate weltweit. In Zahlen ausgedrueckt wurden letztes Jahr 4824 Menschen ermordet (11 pro Tag) und etwa 4015 davon in der Hauptstadt San Salvador. Wenn ich so durch die Strassen laufe, kann ich das alles kaum glauben. Die Menschen sind ueberdurchschnittlich nett und freundlich. Herzlich werde ich staendig gegruesst und angesprochen. Das die Realitaet anders aussieht hat der algerische Dokumentarfilmer Christian Poveda in seinem Film “La Vida Loca” (Die Todesgang) gezeigt. Deutscher Trailer zur Dokumentation.

Es wurde sein Lebenswerk, denn er musste dafuer einen hohen Preis bezahlen. Am 2. September 2009 wurde er von der "Todesgang" hingerichtet. Christian Poveda dokomentiert mit einer beeindruckenden Naehe und viel Emotion den Alltag der “Mara 18″, die zu den brutalsten und gefaehrlichsten Gangs in Lateinamerika zaehlt. Neben der ”Mara 18” regiert eine noch weit gefaehrlichere Strassengang, die "Mara Salvatrucha" bzw. "Mara 13". Beide Gangs liefern sich in San Salvador eine erbitterte Schlacht. Es geht um Revierverhalten, Erpressungen und um Drogen- & Waffenhandel. Die Mara 13 und die Mara 18 hassen sich – es gibt weder ideologische noch religioese Gruende, die den Kampf erklaeren koennten. Seinen Ursprung entstand in den Elendsvierteln der hispanischen “barrios” in Los Angeles. Zur Zeit des Buergerkrieges in El Salvador (1980 bis 1992) sind viele Salvadorer nach LA immigriert. Aus Rassismus und um gegen die amerikanischen, chinesischen und mexikanischen Gangs mithalten zu koennen, gruendeten die Salvadorer eine eigene Gang und schafften sich somit Respekt und vor allem Schutz. Die Gewalt, die es bis dahin in Amerika gegeben hat, war nichts im Vergleich, was die Salvadorer in ihrem Buergerkriegsland gesehen und erlebt haben. Der Menschenstrom aus El Salvador war jedoch hoeher, als bei den anderen Nationen. Darum wuchs die Bande schnell gefaehrlich an. Irgendwann spalteten sich die Salvadorer in zwei Lager: die Mara 18 (bedeutet soviel wie Clique 18) rund um die Strasse 18 und die “Mara Salvatrucha” um die Strasse 13. Bei Youtube gibt es mehrere interessante Dokumentationen. Einige sind sehr gut und aufschlussreich,...

...andere sind sehr sensationslustig aufgebaut.

Nach dem Ende des Buergerkriegs wurden die viele Salvadorer zurueck nach El Salvador abgeschoben. Vor allem die, die Polizeiauffaellig geworden waren. In den USA hatten sie ein langes Vorstrafenregister, aber in El Salvador hatten sie eine reine Weste. Die Amerikaner wollten sich dem Bandenproblem elegant entledigen. Ungeahnt wurde alles viel schlimmer, da die Gangs nun international arbeiten. Die Mitglieder der Gangs einfach einsperren bewirkt genau das Gegenteil. Wenn sie das Gefaengnis verliessen, hatten sie groesseres Ansehen bei den Anderen und gehoerten zu den erfahrenen, alten Gangmitgliedern. In den amerikanischen Gefangnissen erhielten sie eine erstklassige Ausbildung im organisiertem Verbrechen. Mit der Abschiebung nach El Salvador wurde der Hass mitgenommen und der Einflussbereich der Banden wuchs weiter. Laut Schaetzungen haben sie je ca. 30.000 Gangmitglieder. Ueberall wird rekrutiert, auf Schulhoefen, Spielplaetzen und im Einflussbereich der jeweiligen Gang. Der Krieg wurde vor allem in San Salvador ausgetragen. Da die Regierung haerter in den Staedten gegen die Mara 13 & 18 vorgeht, wichen sie auch aufs Land aus. Im ganzen Land sollen die Gangs fungieren und Angst verbreiten. Sie sind erbarmungs- & hemmungslos. Nach dem 12jaehrigen Buergerkrieg in El Salvador hatte die Gewalt ein neues Gesicht. Toeten oder getoetet werden ist die neue Philosophie. Die Maras nennen es Hass. Hass auf den anderen, weil diese ein Mitglied ihrer Gang umgebracht haben. Es ist eine Endlosspirale und laesst sich vermutlich nur schwer durchbrechen. Das Aufnahmeritual besagt, dass man zuerst jemanden von der anderen Gang toeten muss und danach sich 13 bzw 18 Sekunden zusammenschlagen lassen muss. Den Frauen wird das Zusammenschlagen erspart. Jedoch muessen sie mit allen Gangmitglieder schlafen ("Zugfahrt") und gelten zukuenftig als Prosituierte oder koennen sich von einem Mann richtig vergewaltigen lassen. Ein Austritt aus der Gang ist nur moeglich, falls die Person die 26 oder 36 Sekunden (also doppelte Zeit) des Verpruegelns ueberlebt. Nur die wenigsten ueberleben die Tortur. Was die Frauen beim Austritt machen muessen, kann ich nicht beantworten. Vor dem Aussteigen wird auf jedenfall abgeraten. Jeder Verrat und alle Missetaten, auch innerhalb der Gang, werden aufgespuehrt und bestraft. Es soll den Gruppenzusammenhalt staerken. Erkennen soll man die Gangmitglieder ganz einfach. Alle tragen auffaellige Taetowierungen. Freiwillig und unfreiwillig. Wenn jemand nicht in die Gang eintreten moechte, bekommt einfach ein Tattoo ins Gesicht. Es ist eine Art oeffentliche Markierung. Die Person muss jetzt bei jedem Schritt vor die Haustuer aufpassen, nicht von der anderen Gang gesehen zu werden. Der einzige Schutz ist nun die Mitgliedschaft in der Gang, die Schutz gibt. Jedoch einmal drin, gibt es kein Zurueck. Auch die ganze Familie ist mit drin und lebensgefaehrlich bedroht, auch wenn nur z.B. der Sohn Mitglied ist. Laut einem neuen Gesetz sollen alle Polizisten taetowierte Maenner verhaften. Ein Grund muss nicht vorliegen. Falls sie Marihuana dabeihaben, dann werden sie eben zu 20 Jahre Zuchthaus verurteilt. Um 80% wuchsen die Gefaengnisse an. Inzwischen sind die Gefaengnisse nach Gangmitgliedschaft aufgeteilt. Waerter gibt es kaum, da die Gangs alle Probleme selber regeln. Einmal konnte ich solch einer Verhaftung zugucken. Finanzieren laesst sich der Strassenkampf durch Drogen, Waffen und durch Erpressungen. Darum also der brutale Anschlag, um Angst zu schueren und Respekt aufzubauen. Inzwischen bezahlt wirklich jeder Schutzgeld. Selbst fuer 2 Dollar wird die Waffe gebraucht. Der Busanschlag war wirklich heftig und wurde, wie ich spaeter gehoert habe, nicht vom bzw. von den Gangsbossen in dieser Art und Weise befohlen. Der Befehl lautete den Busfahrer und den Schaffner zu toeten. Nicht aber alle Insassen. Es war eine Einzelaktion, die fuer die Moerder nach hinten losging. Innerhalb der Gang stehen sie auf der schwarzen Liste, weil sie mit dieser Aktion zu viel Aufregung gerichtet haben. Der Hauptmoerder stellte sich der Polizei, damit er seine Lebenschance noch verlaengern kann. Aber nun mal ganz ehrlich. In El Salvador gehen pro Jahr 570 Tonnen Kokain durchs Land. Die Gangmitglieder sehen nicht so aus, als ob diese etwas damit zu tun haben. Sie leben in einfachen erbaermlichen Huetten. Die Waffen stammen noch aus der Zeit des Buergerkrieges. Die waren Gaengste tragen keine Tattoos, sonders tragen massgeschneiderte Anzuege und Rolex-Uhren. Denen ist es ganz recht, dass die breite Oeffentlichkeit nur auf die kleinen armen Strassengaengster gucken. Ausserdem wird vermutet, dass die Oppositionsregierung den Bandenkrieg anheizt, um so zu zeigen, wie schlecht und hilflos sie arbeitet.
Im 9. Jahrhundert siedelten die beide mexikanischen Staemme “Pipiles” und “Lencas” im heutigen El Salvador an. Sie nannten das Land “Cuscatlán”, was in ihrer Sprache “Land des Gluecks” bedeutet. Das Glueck endete mit der Eroberung der Spanier 1524. UeberbleibselLLL der ehemaligen bluehenden Kultur sind nur die Ruinen von Tazumal uebriggeblieben. In regelmaessigen Abstaenden kam es immer wieder zu Kriegen, Aufstaende durch die Unterdrueckung der Landbevoelkerung und schliesslich zwischen 1980 bis 1992 zu einem brutalen Buergerkrieg, der am Ende rund 70.000 Tote, vorwiegend unter der Zivilbevoelkerung, tausende Versehrte und Zerstoerungen in Milliardenhoehe verursachte. Grund dafuer waren soziale Spannungen, die durch das grosse Wohlstandsgefaelle verursacht wurden. Eine kleine Elite besass einen Grossteil der Ressourcen, ein nennenswerter Mittelstand existiert erst seit Ende der 80er. Letztendlicher Ausloeser des Buergerkriegs war die Ermordung des Befreiungstheologen und Erzbischofs Oscar Romero durch rechtsgerichtete Todesschwadronen in einer Kirche. Wie in anderen lateinamerikanischen Buergerkriegen (Guatemala, Chile, Nicaragua) unterstuetzte auch in El Salvador der frisch gewaehlte US-Praesident Ronald Reagan das ideologisch verbundene Regime. Kampf gegen den Kommunismus! Neben der Entsendung von militaerischen Ausbildern und CIA-Missionen bestand die Unterstuetzung vor allem in der Lieferung von Militaergeraet. Noch heute befinden sich (zu) viele Waffen im Land. Immer wieder konnte ich Schilder wie dieses hier sehen.
Dieses Schild wirkt eher laecherlich. „Zu ihrer eigenen Sicherheit...“. Gerade deshalb tragen viele Salvadorier Schusswaffen und versuchen sich mit Securityleuten zu schuetzen.Schritte zur weiteren Entwaffnung der Bevoelkerung wurden durchgefuehrt. Im amnesty-international-Report 2009 zu El Salvador heisst es: "Das unveraendert hohe Gewaltniveau gab Anlass zu ernster Besorgnis hinsichtlich der oeffentlichen Sicherheit. Wegen der missbraeuchlichen Anwendung des Antiterrorgesetzes von 2006 standen die Behoerden unter Kritik. Nach wie vor ungesuehnt blieben die weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen, die waehrend des internen bewaffneten Konflikts (1980 - 92) begangen worden waren. Das Amnestiegesetz von 1993 behielt seine Gültigkeit...“. Waehrend nach dem Friedensschluss 1992 Menschenrechtsverletzungen deutlich zurueckgingen, nehmen sie seit einigen Jahren wieder zu und werden nicht geahndet. Organisationen und Personen, die die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung kritisieren, werden haeufig bedroht. Die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevoelkerung ist durch Arbeitslosigkeit, Armut und ein hohes Maß an Gewalt gekennzeichnet. Das klingt so gefaehrlich und macht Angst. Trotzdem kann ich immer nur von El Salvador schwaermen. Und vor allem die Freundlichkeit und Herzlichkeit der Menschen. Ich hoffe instaendig, dass endlich in El Salvador Frieden einkehrt und dass die Menschen ihre Art behalten.

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